Männliche Initiation

Die Helden aller Zeiten sind uns vorangegangen, das Labyrinth ist eingehend erforscht. Wir brauchen nur der Spur des Heldenweges zu folgen. Dann werden wir da, wo wir geglaubt haben, einen Moloch zu finden, einen Gott finden; wo wir geglaubt haben, nach außen zu reisen, werden wir in die Mitte unserer eigenen Existenz gelangen; und wo wir geglaubt haben, alleine zu sein, werden wir vereint sein mit der ganzen Welt. (Joseph Campbell)

„In den meisten Kulturen werden Männer nicht geboren – sie werden gemacht. Viel mehr noch als von Frauen verlangen fast alle Kulturen von jungen Männern Pubertäts- und Initiationsriten. Fast so als hätten Frauen durch die biologischen Erfahrungen der Menstruation und des Kindergebärens bereits genug Weisheit mitbekommen.
Männer hingegen müssen gerade gewaltsam erwachsen gemacht werden:
Sie werden Prüfungen unterzogen, Beschränkungen unterworfen, herausgefordert, bestraft, geschunden; sie werden beschnitten, isoliert, ohne Nahrung gelassen und nackt ausgezogen.

In der Vergangenheit war die Vorgehensweise klar:
Der Junge muss von der beschützenden weiblichen Energie getrennt und in den heiligen Raum eingeführt werden, in dem Neuwerdung und Männlichkeit als etwas heiliges erlebt werden können.
Der Junge muss rituell verwundet und auf die Probe gestellt werden, er muss starke Verbundenheit mit anderen Männern und Loyalität zu den Werten des „Stammes“ erfahren.
Männliche Initiation hat stets mit Härte zu tun, mit Schwierigkeiten, mit Kampf und gewöhnlich auch mit einer respektvollen Konfrontation mit dem Nicht-Rationalen, dem Unbewussten, oder wenn man so will, dem Wilden.
Sie bereitet den jungen Mann darauf vor, sein Leben anders zu meistern als mit Hilfe von Logik, Machterhaltung und Problemlösestrategien. Im Grunde bereitet sie ihn vor auf die Begegnung mit dem Geist/ Spirit.
In klassischen Mythischen Reisen durchlaufen Männer idealtypisch mehrere Stufen des Bewusstseins: Von der einfachen Stufe des Bewusstseins über die komplexe Stufe hin zur erleuchteten Stufe.

Der Knabe bzw. der nicht-eingeweihte Mann beginnt auf der Stufe des einfachen Bewusstseins. Alles erscheint wundervoll und wahr, schwarz und weiß, voller Geheimnisse und Bedeutungen, die dicht unter der Oberfläche der Dinge liegen.
Bis zum Alter von sieben oder acht Jahren sind wir alle echte Gläubige, wenn auch viele Menschen wesentlich länger im einfachen Bewusstsein – der Zeit der Unschuld – verharren. Sie ist oft naiv und auch gefährlich.
Jedenfalls ist sie durch ein reiches Innenleben voller Geschichten, Sinnhaftigkeit und klaren Bezugspunkten gekennzeichnet und ermöglicht dem Menschen, auch größte Schwierigkeiten unversehrt zu überstehen. Die Menschen gehen einfach nach Innen, finden dort ihre transzendente Bestimmung und können dadurch mit Ungerechtigkeiten, Widersprüchen und Leiden fertig werden. Diese Haltung kann man auch schlicht Glauben oder Vertrauen nennen.
Doch unweigerlich müssen wir diese einfache Welt verlassen, das Alte Testament spricht von der Verstoßung aus dem Paradies, dieser schönen Zeit der Unschuld, weil Adam und Eva vom Baum der Erkenntnis gegessen haben und somit Gut und Böse erkennen konnten. Auch wir essen vom Baum der Erkenntnis und gelangen unweigerlich in die Stufe des komplexen Bewusstseins.

2. Die Stufe des komplexen Bewusstseins:
Wir werden erzogen, fangen an nachzudenken und uns um die Bewältigung und Kontrolle aller Informationen zu bemühen. Wir selbst werden zu einer Art Konglomerat (Zusammenballung) von Widersprüchen, Meinungen und nützlichen Verdrängungen. Wir sind überzeugt, dass es die Lösung für alle Probleme irgendwo da draußen geben muss. Wir halten ständig nach ihr Ausschau, lesen Bücher und stopfen uns Brocken vorläufiger Gewissheiten in uns hinein – bis zum nächsten Angstanfall.
Dies macht den größten Anteil der Reise aus. Auf dieser Stufe wissen wir zu viel, um ins Paradies zurückkehren zu können. – Trotzdem wissen wir nicht genug, um erleuchtet zu werden.
Dies ist die existentielle Angst und Bürde moderner Menschen. Sie sind im komplexen Bewusstsein gefangen und trinken immerzu von den gleichen Brunnen: Den Brunnen der Logik, Ordnung, Kontrolle und Macht. Das ist in gewisser Weise gut und notwendig, denn gäbe es nicht diese zweite Stufe, gäbe es kein verlangen, keinen Raum und kein echtes Verstehen des Göttlichen.

3. Normalerweise gelangt kein Held zur Erleuchtung, bevor er nicht eine Reihe von Verletzungen, Enttäuschungen und Widersinnigkeit durchlebt und erlitten hat. Diese Auseinandersetzung mit Finsternis und Trauer schult die Seele des Mannes.
Körperlich wird solche Finsternis als Schmerz oder Behinderung erlebt. Intellektuell tritt die Dunkelheit und Absurdität Paradoxen und Rätseln auf.
Der Held kann die Erleuchtung nicht selbst herbeiführen, er kann sie nicht wählen nicht einmal ganz dafür entscheiden. Denn er kennt sie noch nicht.
Leben heißt sich bereithalten, bereit zu sein und wach werden bzw. sich wach zu halten. Religion ist natürlich der bequemste Ersatz dafür. Lehrsätze und vereinfachte Gewissheiten über Vergangenes und Zukünftiges ersetzen das schlichte Dasein im Hier und Jetzt. So seltsam es klingen mag: Religion verhindert wahre Erleuchtung. Religion manifestiert sich meist in einem beschränkten Standesbewusstsein, das eher auf Angst und Kontrolle beruht anstatt auf Gottsuche.
Erleuchtung bedeutet nicht Wissen, sondern vielmehr Wissen loslassen, nicht lernen, sondern vielmehr verlernen. Es handelt sich um eine zweite, bewusst gewählte Naivität, die all die dazwischenliegenden Widersprüche und Kompliziertheit, nicht völlig vergessen hat. Männliche Initiation
Erleuchtung beinhaltet Hingabe und Vertrauen, weniger Endgültiges und Festgelegtes.
Man kann nichts weiter tun als die Reise fortzusetzen, dabei Qualvolles und Ekstatisches zu lernen und um die seltenste und wesentlichste aller Gaben bitten – um Offenheit zu bitten.
Alles, was wir tun können, ist darauf zu achten, nicht im Weg zu stehen und darum zu bitten, beizeiten die Geheimtür zu finden, die uns den Weg aus der Komplexität weist. Und dann werden wir eines Tages aufhören an die Tür zu klopfen, weil wir merken, dass wir von innen klopfen.

Spiritualität hat die Aufgabe, uns auf die vergessene Reise zu rufen und insbesondere Männern zu sagen, dass es so einen Weg überhaupt gibt.

Der Weg des Helden

Der Held ist in der Regel kein Gott, auch kein Heiliger, er ist immer ein menschliches Wesen mit einem großen tragischen Mangel.
In den meisten Heldensagen geht es um zwei Geburten, die notwendig sind, um zur Erleuchtung gelangen. Eine physische und eine spirituelle, in die wir eingeweiht werden müssen.
Die Ausgangssituation des Helden bzw. Uneingeweihten besteht aus Naivität und Zynismus gegenüber der Welt einem Gefangensein in flüchtigen Vorstellungen. Der Osten spricht von Blindheit, Illusion oder ziellosem Begehren; der Westen spricht von Sünde. Der Begriff Sünde bezeichnet aber im ursprünglichen Sinne eher eine geistige Haltung als einzelne moralisch verwerfliche Taten. Also ist er dem östlichen Verständnis sehr nahe.
Denn ohne spirituelle Reise entsteht das Kuriosum, dass Menschen die die „Sünde\“ vermeiden wollen, immer tiefer in diesen Zustand verstrickt werden. Sie halten sich an religiöse Regeln, allerdings aus einem völlig unbeleuchteten Bewusstsein heraus, dem in der Regel Angst oder soziale Anpassung zugrunde liegen.

Das Muster der Reise:

Als erstes erklingt ein Ruf in ein völlig uneingeweihtes Leben hinein.

Der Held wird auf einen Weg bzw. auf eine Suche geführt, die über sein eigenes Ich hinausgeht.
Dieser Ruf kann von Innen oder auch Außen erfolgen. Den Helden locken das Andersartige, das Geheimnisvolle, das Heilige, was ihn dazu bringt das Bekannte und Vertraute zu verlassen. Die Bedingung für den Erfolg dieser Stufe ist das deutliche JA zum Beginn dieser Reise.
Die Reise geht normalerweise weiter, sobald der Held seinem Beschützer begegnet, der ihm hilft und die Richtung weist, der ihn ermutigt und stärkt.
Niemand ist auf seiner Reise allein. Es gibt immer ein weises Vorbild, der sowohl die Richtung kennt, aber auch vor den Gefahren und Hindernissen warnt.
Normalerweise gibt es nur eine klare Leitfigur. Das Negative hingegen hat viele Gesichter, das Positive, wird normalerweise als klar, einfach und schön und doch zugleich geheimnisvoll dargestellt.

Die große Niederlage oder die große Verwundung.

Zur ersten Schwellenerfahrung gelangt der Reisende erst, wenn es zur ersten Krise kommt. Das eigene Gedankengebilde von Logik, Sinn und Wahrheit bricht zusammen.
Er begegnet seinem eigenen Schatten aufgrund von Versagen, Verstrickung oder Anfeindung. Diesem Schatten muss er frontal ins Auge sehen und ihn in sein Leben integrieren, sich mit ihm anfreunden. Der Junge muss sterben, damit der Mann geboren werden kann. Wir müssen scheitern oder wir werden nichts verstehen.
Diese Wunde ist das Loch in der Seele, durch das das Göttliche Zugang zu unserer Seele erhält. Dadurch wird das wahre Selbst sichtbar und der Held findet seine wahre Aufgabe, seine Berufung und sein Ziel. –> Held ist, wer sein Leben für etwas hingibt, das größer ist als er selbst.
Das Leben eines Mannes hat keine universelle Bedeutsamkeit oder keinen transzendenten Sinn, wenn er nicht in einem echten Sinne etwas Großes vollbringen kann.
Interessanterweise gibt es meistens eine Aufgabe innerhalb der Aufgabe, einen Kampf neben dem Kampf. Der wahre Held muss seinen Humor und seine Freiheit bewahren, er muss sein Innerstes finden, Freunde entdecken und seinen Horizont erweitern.
Da ist kein Raum für Banalitäten, Griesgrämigkeit oder Selbstmitleid, sonst ist man kein Held. Der mürrische Heilige ist überhaupt kein Heiliger.

Auf der letzten Stufen des Heldenmythos geht es um das Thema Wiederkehr.

Der Held erhält am Ende der Reise meist ein Geschenk, dies ist meistens das Ewig Weibliche und endet in der heiligen Hochzeit – sie leben von nun an glücklich miteinander.
Das Königreich ist gesund und fruchtbar, denn das Männliche und Weibliche sind zu einer neuen Realität zusammengewachsen.
Das Wichtigste aber ist, dass das Geschenk anderen zugutekommt. Der Gral ist kein Privatbesitz. Er wird immer zum Wohle der Gemeinschaft eingesetzt.
Die großen Helden sind niemals Einzelgänger. Unter ihnen gibt es keine Selfmade- Männer, die in Wildwest- Manier kräftig in der Stadt aufräumen und dann in den Sonnenuntergang davonreiten.
In den Geschichten wird stets deutlich,, dass sich Helden durch viele Begegnungen, Ratgeber und Umstände formen lassen müssen. –> Er wird durch eine spezifische Zeit, seine Kämpfe und insbesondere durch seine Feinde geformt und geschaffen. Er hat sich niemals selbst gemacht.
In den Schlusskapiteln der Geschichte kehrt der Held zu seiner Gemeinschaft nach Hause zurück. Mit seinen Gaben und Einsichten, die er gewonnen hat, verändert er das Leben der Daheimgebliebenen.
Schließlich ist der Held gerade darum ein Held, weil er es versteht, sich wieder in die Gemeinschaft einzugliedern.

Von außen betrachtet sieht das erleuchtete Bewusstsein dem einfachen Bewusstsein verblüffend ähnlich. Die zweite Naivität wird von Uneingeweihten leicht mit der ersten verwechselt. Aussagen weiser Männer klingen für diejenigen simpel und irrelevant, die im komplexen Bewusstsein gefangen sind. Das Ende der Heldenreise sieht aus wie der Anfang:
„Und das Ende all unserer Erkundungen: Dort angekommen, wo wir losgegangen sind. Und diesen Ort das erste Mal kennen.\“ (T.S. Elliot)

Männliche Archetypen

Archetypen sind Bilder außerhalb unseres Selbst, die uns zu Wachstum, Veränderung und Bewusstwerdung rufen. Der Versuch einen Archetypus in Reinform zu verkörpern führt zu Besessenheit und hält uns gefangen, verhindert somit das Wachstum.
In den Mythen und Heldensagen treten fast durchgängig 4 männliche Charaktere auf:
1. Krieger
2. König oder Führer (Vaterfigur)
3. Liebhaber
4. Magier

Bei den zentralen männlichen Archetypen geht es immer um Macht.
In welcher Form ist macht gut?
Wie wird Macht erhalten?
Wie wird sie aufgeteilt und wie kommt sie anderen zugute?
Was ist spirituelle Macht und was ist selbstsüchtige Macht?

Der puer, der uninitiierte Junge, ist durch seine Naivität bezüglich der Macht definiert. Er misstraut ihr, und falls er ohne echte männliche Vorbilder groß geworden ist, wird er sie sogar hassen und keine Gelegenheit ungenutzt lassen, seine Verachtung gegenüber Macht und Autorität zu zeigen.

Der Mann muss den positiven Aspekt der Macht kennenlernen. Ihn muss er würdigen, oder die Macht wird ihn unweigerlich zerstören.
Weil die Männer ihre innere Arbeit nicht geleistet haben, weil sie ihrer Geschichte keine Aufmerksamkeit geschenkt haben und die jungen Männer nicht eingeweiht haben, ist die Macht in der westlichen Gesellschaft großenteils außer Kontrolle geraten und allgemein in Verruf gekommen.
Viele Frauen sind heute davon überzeugt dass Patriachat dasselbe ist wie Männlichkeit, und dass Männlichkeit stets Herrschaft, Krieg, Gier und Kontrolle bedeutet.
Wir Männer müssen ihnen und uns beweisen, dass Männlichkeit sehr wohl Macht und Kraft meint, aber eine Kraft zum Guten, eine Macht für andere, für das Leben, eine schöpferische Macht.
Macht kann nicht an und für sich böse sein.
Die Faszination und Begeisterung für Krieger werden Jungen nicht verlieren, nur weil es feministischen Müttern nicht gefällt oder Pazifisten dagegen Sturm laufen. Wir müssen allerdings die Bedeutung des spirituellen Kriegers entdecken.

1. Der Krieger

Das hervorragende Symbol des Kriegers ist das Schwert. Es hat allerdings nicht unbedingt die Funktion zu töten, sondern zu schneiden und zu trennen: Sachthemen von Emotionen, Personen und Gefühle – und gerade so das eigentliche Thema, die Sache um die es geht, herauszufinden.
Der erste Aspekt des Kriegers ist also das Schwert der Unterscheidung. Ohne den Kriegerteil in uns haben wir nicht die Fähigkeit zu unterscheiden und zu trennen.
Der Krieger ist der Teil in uns, der eine Zielrichtung braucht. Er braucht die Faszination für eine große Wahrheit. Um dieser Sache willen kann der Krieger großen Mut und großes Durchhaltevermögen entwickeln. Er ist der Teil in uns, der die Fähigkeit hat, die Anstrengungen zu verdoppeln, der Teil, der den Schmerz beinahe liebt.
Ohne den Krieger ist man verloren und irrt hierhin und dorthin, weil man nicht den Mut hat, eine Richtung einzuschlagen.
Der Krieger ist der Archetyp der Selbstdisziplin.
Der spirituelle Krieger setzt sich für die anderen ein und nicht für sich selbst. Der dunkle Krieger stellt dies auf den Kopf und vermeidet das Sterben, der spirituelle Krieger sieht dem Sterben ins Auge.

Es gibt eine alte Geschichte von einem Mönch und einem Samurai:
Der Samurai sagt: Weißt du nicht, dass ich dich, ohne mit der Wimper zu zucken, mit diesem Schwert einfach durchbohren kann?
Und der Mönch sagt: Weißt du nicht, dass ich, ohne mit der Wimper zu zucken, zulassen kann, dass du mich durchbohrst
Die Moral ist, dass der Mönch der wahre Samurai/ Krieger ist. Denn der Samurai wurde dazu ausgebildet, seiner Todesangst ins Gesicht zu sehen – aber niemals zu töten, außer wenn es wirklich notwendig ist.
Der Krieger verfolgt sein Ziel konsequent, und deswegen erregt er auch immer den Verdacht, ein Fanatiker zu sein. Es ist nämlich schwer, einen Menschen zu finden, der ein klares Ziel hat und trotzdem ein weites Herz.
Konservative Leute sind vom Krieger angezogen, Progressive hassen ihn, denn der Progressive sucht eher nach Weite und der Konservative sucht immer nach der einen todsicheren Sache.
Die Kunst des wahren Kriegers ist es, beides zusammenzubringen. Wenn du für alles offen bist, dann stehst du am Ende für nichts mehr gerade.
Wichtig für den Krieger ist es einen Fokus zu haben, verliert er diesen, dann verliert er auch seine Energie.
Der Schlüssel zum guten Krieger liegt darin, dass man eine Beziehung zu einem guten König hat. Man braucht eine Vertrauensbeziehung zu einem weisen König, der einem hilft bzw. unterscheiden, welche Schlachten geschlagen werden müssen und welche es nicht wert sind.
Der weise König steckt das Gebiet ab, indem er benennt was wirklich ist.
Die Aufgabe des Kriegers ist es, sein Leben dafür einzusetzen, die Grenzen des Gebiets zu beschützen.
Der Krieger steht an der Grenze mit dem Schwert in der Hand. Der Teil in uns, der einen angemessenen Sinn für Grenzen hat, ist der Krieger in uns. Ohne Kriegerenergie stellt man alles in den Dienst des Ego. Man ist nicht fähig, Abstand zu sich selbst zu finden.
Wenn man nicht ein bestimmtes Maß an Angst oder Einsamkeit aushalten kann, wird man kein Krieger werden.
Der Krieger ist der Teil von uns, der gerne an einem heißen Sommertag in den Garten geht um ein Loch zu graben, weil ein Loch gegraben werden muss und er es liebt zu schwitzen. Sobald wir ans Bier denken, ist es aus mit dem Krieger. Der Krieger kann nicht ans Bier denken, er muss ein Loch graben.
Der moderne Softie kann das nicht: Kein Fokus, kein Thema, kein Ziel, für das es sich einzusetzen lohnt, nichts ist es wert, dafür zu sterben, nichts ist da, wofür man bereit ist zu leiden. Nimm’s leicht, take it easy!
Der Kriegeranteil in uns weiß, dass das nicht wahr ist. Wenn es keinen Teil in uns gibt, der das weiß, dann haben wir den Krieger in uns umgebracht. Und dann werden wir für die wirklich wichtigen Dinge im Leben keine Energie haben.
Der Krieger ist loyal gegenüber dem was Loyalität verdient. Er braucht allerdings einen guten König, oder er muss seinen inneren König so weit entwickeln, dass er fähig ist, zu unterscheiden, was Loyalität und Treue verdient und was nicht.
Normalerweise lernt der Krieger mit der Zeit, dass er nicht der einzige sein muss, kein Einzelkämpfer, sondern dass er ein Mitkämpfer sein kann. Macht kann geteilt werden.
Der Krieger entschuldigt sich nicht dafür, dass er Macht hat. Aber er hat die Disziplin, zu lernen, wie man sie angemessen und moralisch einsetzt.
Die dunkle gefährliche Seite des Kriegers ist der dunkle Krieger. Dieser ist entweder keinem König Untertan oder dient einem schlechten König. Er sieht sich oft selbst als Quelle seiner Kraft. Sein gesamtes negatives Potential projiziert er auf andere. Der Krieger ohne Selbsterkenntnis ist gefährlich und dumm. Er bedarf eines guten Königs oder Magiers. Denn der dunkle Krieger sieht menschliche Gefühle und insbesondere alles, was weiblich ist, oft als schwächlich an. Dem Weiblichen zu begegnen bedeutet, der Seele und dem Gefühl zu begegnen.
Um seine Energie zu erhalten und zu kanalisieren nutzen viele Männer den Sport. Denn er ist die Ritualisierung des Kampfes und des Krieges und somit ein geeignetes Ventil.
Wir müssen die Kriegerenergie für geistliche Unterscheidung verwenden, um die Themen, um die es in unserem Leben wirklich geht, zu finden, anstatt uns von anderen Menschen unterscheiden zu wollen – was der junge Krieger in der Regel tut.
Das große Autoritätsproblem in unserer Gesellschaft kommt daher, dass der Krieger nicht integriert ist. Wir misstrauen jeder Form von Macht in anderen Männern, weil wir unserer eigenen Macht nicht vertrauen. Wir müssen darüber meditieren und nachdenken und den Teil in uns finden, der sich seiner Macht so tief bewusst ist, dass wir die Freiheit haben, machtlos zu sein. Er hat sein Schwert, kann es aber in der Scheide stecken lassen.
Ganz nach Gandhi: Nur sehr tapfere Menschen sind fähig, den Weg der Gewaltlosigkeit zu gehen. Wer Angst davor hat, Macht auszuüben oder Gewalt anzuwenden, ist nicht in der Lage, den mutigen Weg der Gewaltlosigkeit zu gehen.

2. Der König

Er ist der Teil in uns, der sich nach Grund und Boden sehnt. Er hält das Königreich zusammen. Je größer das Königreich, das man in sich Zusammenhalten kann, desto ein größerer König ist man. Der König verkündet, was gilt und was wirklich ist, und er setzt die Grenzen des Reiches fest. Er gibt dem Gebiet, das er beherrscht, Ordnung und Frieden. Allein durch seine Gegenwart fühlen sich Menschen sicher und geborgen.
Der König ist niemals willkürlich oder unberechenbar. Er ruht in sich und ist zuverlässig.
Er ist verlässlich und ist in der Lage Veränderungen die er vornimmt auch zu erklären.
Königliche Insignien kennzeichnen zusätzlich nach Außen, dass er die Macht in Händen hält. Er braucht sich nicht dafür zu schämen oder sich dafür zu entschuldigen.
Die Krone ist das Symbol des Bewusstseins. Er weiß. Er lebt nicht im Unbewussten, sondern das Unbewusste ist bei ihm zu Bewusstsein gekommen.
Der König muss meist gar nicht viel tun, er muss anwesend sein, das Gefühl von Sicherheit und Stärke weitergeben. Ist der König gesund und fruchtbar, dann ist auch das Königreich gesund und fruchtbar. Die Rolle des Vaters in der Familie ist daher: Gar nicht viel zu sagen, sondern einfach gesund zu sein an Leib und Seele, den Weg gemacht zu haben, und durch das bloße Dasein zu sagen: Es ist o.k.
Normalerweise erreicht man diese Stufe nicht vor 50 Jahren. Bei den meisten indianischen Initiati-onsriten ist der Vater nie der Initiator. Es gibt zu viele Spannungen zwischen Vater und Sohn, so dass es meist ein älterer nicht verwandter Mann ist.
Bei den Christen gibt es daher das Patenamt. Die Aufgabe der Paten ist eigentlich die Religiöse Erziehung der Schützlinge, damit die Spannungen nicht dazu führen, dass die Spiritualität der Eltern allein schon aus Protest abgelehnt wird.
Eine besondere Macht des Königs und auch des Vaters ist die Fähigkeit, Segen zu geben:
Wenn er sagt: „Du bist gut“, dann bist du auch gut Wenn der ältere Mann sagt: „Du hast es gut gemacht“, dann hast du es gut gemacht. Oft reicht auch nur ein anerkennender Blick. So einfach ist das und so viel Kraft hat das.
Der Vater sorgt dafür, dass Männlichkeit einen positiven Sinn bekommt. Er sagt, dass Männlichkeit mehr und mehr etwas anderes ist als Machotum. Es ist etwas Wertvolles tief in uns. Dies zu begreifen ist ein langer Prozess.
Eine andere Variante des Königs bzw. des Vaters ist der Mentor. Mentor war der Mann, dem Odysseus seinen Sohn anvertraute, bevor er sich auf die Reise nach Troja machte. Er ist derjenige, der dem jungen Mann den Spiegel vorhalten kann. Er hat es nicht nötig, dass der junge seine Bedürfnisse erfüllt, sondern ist in der Lage, die Bedürfnisse des jungen Mannes zu erfüllen. Er hat einen Überschuss an Kraft und kann diese abgeben. Hier sieht man, dass auch der Mann eine nährende Funktion ausüben kann, die ja eigentlich nur Frauen und Müttern zugesprochen wird. Der Vater ist fruchtbar, weil er mehr Nahrung und Stärke hat, als er braucht.¨
Wenn man echte Autorität hat, muss man niemandem sagen, dass man sie hat. Man braucht keine Statussymbole, um sich selbst oder andere zu überzeugen.
Die Gefahr des Königs ist, von seiner eigenen Macht so fasziniert zu sein und zum Tyrannen und Despoten zu werden. So wird der König zum schlechten König.
Um nicht in dieser Machtebene gefangen zu sein braucht der König aber z.B. den Magier, der ihn aus seiner eigenen Machtspirale herausholen kann und ihm auch den Spiegel vorhalten kann.
Diese Aufgabe hat ihn vielen Ehen die Ehefrau. Könige, die keinen Magier, Krieger und Liebhaber bei sich haben werden zwangsläufig zum schlechten König. Diese Könige nennt man Knabenkönig oder auch Schattenkönig.
Der gute König hat so viel Macht, dass er sie nicht gebrauchen muss.
Der schlechte König hat so wenig Macht, dass er sie immer nutzen und zeigen muss.
Der gute König segnet, der schlechte König flucht.
Im Leben eines jeden Mannes gibt es gute und schlechte Könige, die unsere Seelen geprägt haben: Gute oder schlechte Väter, Männer die uns ins Leben initiiert haben.
Von diesen haben wir durch Modelllernen/ natürliches Nachahmen gelernt, nicht durch Vorträge, Worte oder Gedanken.
Die Transformation der Seele erfolgt fast ausschließlich durch Bilder, deshalb sind Archetypen auch so machtvoll.
Wir können eine Idee von Männlichkeit haben, aber wenn ich nicht einen Mann treffe, der sie verkörpert, kann ich sie nicht leben und integrieren.

3. Der Magier

Der Magier ist der Archetyp der inneren Wandlung, der Transformation, derjenige, der die Seele versteht: Er ist der Archetyp der Weisheit und des Bewusstseins.
Wenn der Magier in den Geschichten auftritt, gibt es fast immer schlechte Nachrichten, weil er dem Helden seine dunkle Seite aufzeigt.
Der Magier tritt in verschiedenen Erscheinungsformen zu Tage. Die niedrigste ist der Gaukler, die höchste der Prophet. Dazwischen gibt es den Ältesten, den Weisen Alten, den geistlichen Führer, den Schamanen, den Zauberer, den Medizinmann und den Priester.
Der Magier zwingt den mythischen Helden immer, dem ins Auge zu sehen, was er bisher verleugnet hat. Wie z.B. auch der Hofnarr am mittelalterlichen Hofe, der dem König sagen durfte, was er alles falsch machte. In unserer heutigen Geschichte übernehmen die Kabarettisten und Karikaturisten die Aufgabe des Hofnarren.
Der Magier kann auch als Jongleur dargestellt werden, da er häufig mit Paradoxien und Gegensätzen spielt und sie in der Schwebe hält. Das Gewand trägt häufig Zeichen von Licht und Finsternis – Sonne, Mond und Sterne. Dies soll zeigen, dass es auch noch eine Welt hinter der Welt gibt. Es gibt mehr als das, was das Auge sehen kann, es gibt eine tiefere Bedeutung der Dinge. Deswegen bringt der Magier die Illusionen des Helden immer zum Platzen. Wenn es niemanden gibt, der unsere Illusionen zerstört, werden wir entweder Götzendiener oder Dummköpfe.
Der Magier hilft uns, der zu werden, der wir wirklich sind. Er ermutigt uns, unseren Erfahrungen zu trauen, und er bietet Begriffe und Kategorien an, durch die wir unsere Erfahrungen verstehen und einordnen können.
Wenn man keinen Sinn für Paradoxien hat, dann ist man kein Magier. Der Magier sagt immer: „Sowohl als Auch“ und niemals: „Entweder – Oder“.
Der Magier ist jemand, der seinem eigenen Schatten begegnet ist. Wenn wir niemals unserer eigenen Fähigkeit zum Bösen ins Gesicht gesehen haben, wenn wir nicht erkannt haben, wie oft wir lügen, träge und überkritisch sind, wenn wir nicht darüber Schmerz und Reue empfinden, gelangen wir nie zum Magier in uns. Wir sind selbst ein Paradoxon. Wenn wir das Dunkle und das Helle in uns anerkennen, ohne eines davon zu verleugnen, dann sind wir auf dem Weg zum Magier.
Die Gefahr, die vom Magier ausgeht ist die, von ihm beherrscht zu sein.

Wenn sich jemand als spiritueller Guru sieht, ist er gefährdet aufgeblasen zu werden und sich selbst über andere Menschen zu erheben. Daraus ergibt sich, dass auch ein Magier einen anderen Magier braucht. Denn sonst hat man irgendwann nur noch Antworten und keine Weisheiten mehr. Eine weitere Gefahr ist der Magier ohne Liebhaber. Denn er lebt in abstrakten und abgespaltenen Ideen ohne liebevolles Engagement. Wenn man denkt, man könne mit Ideen die Welt retten, ist man ein falscher Magier.
Der dunkle Magier ist in seine Ideen verliebt, aber nicht in Menschen. Die Ideen nutzt er um Menschen zu manipulieren und zu kontrollieren – nicht um der Wahrheit willen.
Der Magier erlaubt uns niemals zufrieden zu sein. Wenn er in die Geschichte kommt, verzieht der Held das Gesicht und sagt: „Oh nein, nicht schon wieder. Ich will nicht schon wieder wachsen müssen. Ich bin es leid mich zu verändern, ich bin doch schon wiedergeboren!
Aber der Magier lässt das nie gelten, und das ist gut so!

4. Der Liebhaber

Wenn der König der ist, der sein Gebiet beherrscht, der Krieger der, der die Grenzen des Reiches verteidigt und der Magier der, der zeigt, wie man mit den Gegensätzen innerhalb des Reiches umgehen kann, dann ist der Liebhaber derjenige, der dem ganzen Geschmack und Schönheit verleiht und es auf diese Weise zusammenhält.
Ohne den Liebhaber ist das Leben nicht genießbar es ist alles langweilig. Man hat nichts als Ver-pflichtungen und Zwänge, die man erfüllen muss.
Der wahre Liebhaber ist nie gelangweilt. Er ist derjenige, der Grenzen überschreitet und Regeln bricht. Die Reise in die Ekstase und zurück in die Agonie ist ein guter Lehrmeister, wenn man nicht ausbrennt, was leider viel zu schnell passieren kann. Daher braucht man einen guten König, der ein paar Grenzen markiert, bevor es zu spät ist und man muss den Krieger entwickeln.
Der Liebhaber in uns ist schamlos, er stellt sich dar, alles kommt aus dem Bauch heraus.
Der Teil in uns, der den Liebhaber zerstört, ist der Teil, der sich vor der Begeisterung und vor körperlichen Genüssen schämt.
Der Liebhaber ist der ewige Knabe in uns, der puer aeternus, der alles mit leuchtenden Kinderaugen ansieht.
Ohne den Liebhaber dienen die anderen drei Archetypen immer dem Tod. Der König ist dann nur noch zum Kontrollieren da und nicht zum zeugen neuen Lebens, der Magier lebt nur noch in der Überlegenheit seines Wissens, aber er dient niemanden damit; und der Krieger zerstört nur noch, aber er beschützt niemanden mehr.
Die Gefahr des Liebhabers ist es abhängig zu werden, weil er immer Risiken eingeht. Er nimmt auch das mögliche folgende Leid in Kauf.
Die höchste Form des Liebhabers ist der Kontemplative. Er kann ohne jede äußerliche Stimulation genießen. Alles ist schön; sogar ein Blatt an einem Baum genügt, ihn glücklich zu machen; denn der Kontemplative blickt hindurch, er hat die Quelle der Freude gefunden. Er lebt ganz in der Gegenwart, im Hier und Jetzt.
Er ist der Gegenwart Genießer, der den göttlichen Nektar aus allem saugt, was ist. Der Liebhaber in uns sucht das Gute, Wahre und Schöne; und er kann es um seiner selbst willen genießen und er muss Wege finden, das auszudrücken. Er muss komponieren, Musik machen, tanzen, dichten, küssen.
Die Aufgabe des Liebhabers ist Seelenarbeit und Körperarbeit. Der Liebhaber kann nicht gedacht werden. Er muss gelebt, erfahren und gefühlt werden.
Der Liebhaber muss lernen, bewusst zu lieben; er muss beschließen, lieben zu lernen. Liebe ist ein Entschluss: „Ich will lieben, auch wenn die Liebe mir im Moment nichts erkennbares bringt.
Die Liebe muss konkret werden, spezifisch, sie muss irgendwo wohnen. Sonst wird sie luftig, metaphysisch und abgehoben. Das ist die Gefahr, wenn man z.B. zölibatär lebt. Man liebt die Menschheit, aber niemanden konkret. Der härtere Weg ist die Ehe, der Weg der Heirat, der Treue, des Dableibens. Man muss sich immer wieder fragen: „Wozu fordert mich diese Beziehung jetzt heraus? – damit wir am Ende des Lebens wissen, wie man liebt. Es geht darum das Gute im anderen zu suchen, jenseits des eigenen Selbst.

5. Fazit:

Alle vier Archetypen sind schon ins uns, sie liegen nicht irgendwo außerhalb. In uns ist bereits die Sehnsucht ein weiser Mann zu sein, die Sehnsucht danach, die Innenwelt zu verstehen. Zugleich gibt es in uns die Versuchung, das alles zu missbrauchen: nicht für Vereinigung, sondern für Macht und Kontrolle, nicht für Barmherzigkeit, sondern für Selbstgerechtigkeit.
Jeder von uns nimmt bei einem Archetyp seinen Ausgangspunkt. Dann gibt es immer einen zweiten, den man im Laufe der Zeit integriert. Man kann seine Persönlichkeit oft durch zwei Archetypen beschreiben.
Wenn man wächst, dann kommt irgendwann ein dritter hinzu – falls man wächst! Die meisten Leute bleiben einfach ihr ganzes Leben in ihrem Ausgangspunkt stecken. Und wenn nur ein Archetyp entwickelt ist, wird er sich immer zur dunklen Seite hin entwickeln.
Der eigentliche Schlüssel aber ist der vierte, inferiore Archetyp, derjenige, der am entferntesten ist. Suche den Archetyp, den du am wenigsten verstehst, der am weitesten entfernt ist. Es kann helfen alle vier Archetypen zu malen, oder anders zu gestalten. Wenn wir den, bei dem wir die größten Schwierigkeiten haben ihn darzustellen, gefunden haben, haben wir auch unseren vierten Archetyp gefunden.

Nach Richard Rohr,. Masken des Maskulinen Zusammengefasst von Crann – www.Feuersprung.de